Niemals ohne mein Team

Wie versprochen wollte ich mal einen Eintrag zu meinem Job hier in Nigeria schreiben. Vor allem jetzt, wo das Projekt so gut wie vorüber ist. Ihr wisst ja alle, was ich mache, daher kann ich die Einleitung kurz halten. Wie bitte? Ihr wisst es nicht genau, beziehungsweise ihr habt es vergessen? Na gut, hier nochmal kurz zusammengefasst. Ich arbeite für die GIZ in Nigeria (das wusstet ihr, wa?) und zwar für ein Projekt im nigerianischen Bundesstaat Plateau, dass da heißt “Deepening Economic Development for Peace and Stability in Plateau State”. Dieses Projekt wird zu 100% aus EU Mitteln finanziert. Um genau zu sein, kommt das Geld aus einem Topf, der sich “Instrument contributing to Stability and Peace” nennt. Damit ist der Fokus dann auch schon klar. Der wunderschöne Bundesstaat Plateau wurde in der jüngeren Vergangenheit immer wieder von gewalttätigen Konflikten erschüttert. Das Ganze begann im Jahr 2001 und endete erst so richtig im Jahr 2015. Ich will keine Geschichtsstunde halten. Wer sich dafür interessiert, findet im Internet unzählige Artikel, wie  zum Beispiel den hier. Als einer der Haupthintergründe wird immer wieder die schlechte wirtschaftliche Situation in Plateau genannt und die extrem hohe (Jugend-) Arbeitslosigkeit. Unser Projekt versucht also dazu beizutragen, dass sich das Konfliktpotential in Plateau reduziert und zwar durch Förderung der lokalen Wirtschaft und Schaffung von Arbeitsplätzen. Die Idee ist, wenn die Leute erstmal einen Job haben und ausreichend Einkommen nach Hause bringen, dann haben sie gar kein Interesse mehr an irgendwelchen Konflikten. Wir arbeiten in vier verschiedenen Bereichen:

  1. Zugang zu Finanzmitteln (denn ohne Finanzen, keine Investitionen, kein Business)
  2. Verbesserung der politischen Rahmenbedingungen (was nützt dir die beste Businessidee, wenn der Staat und seine Politik gegen dich sind, beziehungsweise dir Steine in den Weg legen)
  3. Handelserleichterungen (wenn du schon tolle Güter produzierst, willst du die ja auch irgendwo verkaufen)
  4. Förderung von Wertschöpfungsketten (Mehrwert ist, wenn das Produkt mehr wert ist….)

Meine Aufgabe in dem Ganzen ist die eines Projektkoordinators. Was macht ein Koordinator? Tja….gute Frage. Auch wenn es sich auf dem Papier etwas anders liest, bin ich de facto verantwortlich für das gesamte Projekt und allem was dazu gehört. Das beinhaltet inhaltliche Umsetzung von Aktivitäten, finanzielle Abwicklung, Steuerung des 10-köpfigen, nigerianischem Projektteams, Berichterstattung, Planung, Motivator, Polizist, Zuhörer, Ansager, und und und. Insgesamt dauerte das Projekt über zwei Phasen oder auch 44 Monate, von denen ich mehr als 26 Monate tatsächlich als Koordinator dabei war. Das Projekt endet endgültig am 31.03.2017, also in wenigen Tagen. Zeit für mich zurückzublicken auf erfolgreiche Aktivitäten, die Arbeit als Teamkoordinator (oder BOSS, wie mich mein Team nennt 🙂 ), auf die anstrengenden und auf die guten Zeiten, auf das was ich vermissen werd und was mich für immer geprägt hat.

So das war jetzt die Einleitung. Hättet ihr mal gesagt, ihr wisst, was ich mache, dann hätte ich mich wesentlich kürzer fassen können.

Fangen wir doch mit den Projektaktivitäten an. Natürlich nicht mit allen, der Blog wird so schon lang genug, aber vielleicht zwei Highlights. Für alles weitere kann ich euch gerne den Abschlussbericht schicken, den ich im April noch verfassen werde, oder ihr schaut euch unseren Film an…

Film? Ja genau. Ein Projekt mit der EU erfordert immer, dass man die EU möglichst sichtbar macht. Da ist ein Film natürlich die Idee überhaupt. Insgesamt haben wir drei Filme gedreht, beziehungsweise drehen lassen…Zwei waren sogenannte Edutainment-Filme, also unterhaltsame Filme mit gewissem Lehranspruch. Ein Film thematisierte Mikrofinanzen (E go better – the Microfinance Way), ein Anderer handelte von Mikroversicherungen (E go better 2 – A Microinsurance Story). Der dritte und aktuellste Film ist eine Dokumentation, mit echten Menschen und echten Geschichten. Die Doku heißt “Plateau on the Move” und zeigt Erfolgsgeschichten unseres Projektes, aber ist auf keine Fall ein Imagefilm für die GIZ oder die EU. Im Fokus stehen lokale Akteure, die einiges auf sich genommen haben, um etwas zu verändern. Diese Menschen haben ihr Schicksal selbst in die Hand genommen und etwas gestartet, um Sachen zum Besseren zu entwickeln. Das war oft ein langer, steiniger Weg und zufällig hat unser Projekt diese Menschen ein Stück des Weges begleitet. Dass die Doku so ein Erfolg geworden ist (ja, ist sie!), dass verdanken wir auch dem Produzenten, dem wir sehr viel Freiheiten gegeben haben. Es ist ein großartiger Mensch, der ein sehr richtiges Verständnis von Entwicklungszusammenarbeit hat, perfekt mit einem lokalen Team zusammenarbeitet, immer die absolute Kontrolle hat und das auf eine unglaublich charmante Art und Weise. Wenn ihr mal einen Filmemacher braucht, kontaktier Johannes Friedemann Preuß (Johannes, wenn du das hier liest, YAAM im Mai steht, also wenn du in Town sein solltest!). Ich gebe gerne zu, dass die Arbeit mit diesem Künstler nicht immer einfach war, aber es hat dennoch viel Spaß gemacht und die Endresultate waren immer überragend und gerade auf die Dokumentation bin ich unglaublich stolz. Im Laufe der Produktion der Doku gibt es ja mehrere Möglichkeiten das Material zu sichten, Rohfassung, erste Version, zweite Version, und so weiter. Ich habe mir ganz bewusst nichts von der Doku angeschaut, denn ich habe gewartet bis zur großen Premiere. Ein großartiger Film verdient eine großartige Premiere. Für diese Doku haben wir deshalb zusammen mit der deutschen Botschaft eine Premiere in einem Kino in Abuja organisiert. Ein richtiges Red-Carpet-Event mit Sektempfang, Presse, VIPs. Der deutsche Botschafter war da, der GIZ Landesdirektor war da, der Chef der Presseabteilung der EU Delegation war da, mehrere andere Diplomaten, internationale Organisationen und vor allem Partner aus Plateau waren da und alle Hauptprotagonisten. An diesem Abend habe ich die Doku zum ersten Mal gesehen und beim Schauen des Filmes überkamen mich wahrlich Glücksgefühle, da die Doku so gut ist und vor allem auch so gut ankam. Hinterher hieß es dann, Händeschütteln, Fotos machen, Glückwünsche entgegen nehmen, die ich hiermit sehr gerne an alle Beteiligten weitergebe. Ich kann euch den Film leider nicht verlinken, da wir uns ernsthaft Chancen auf Preise bei Internationalen Filmfestivals ausmalen, und damit man da mit machen kann, darf der Film noch nicht bei YouTube online sein. Aber das hier ist der Titelsong der Doku und gilt zugleich als Trailer:

Ein weiteres Event, was mich sehr viel Kraft gekostet hat, mich um Jahre altern lassen hat, aber im Endeffekt eins der für mich wichtigsten war, fand vor nicht mal vier Wochen statt. Als großen Abschluss des Projektes dachten wir uns, wir organisieren unsere eigene Handelsmesse “Made in Plateau”. 65 Aussteller, die ihre lokalen Produkte der politischen Elite und internationalen Geschäftsleuten präsentieren und so endlich Fuß auf dem internationalen Markt fassen können. Natürlich kann man so ein Event in Nigeria nicht machen, ohne grandiose Eröffnungszeremonie, zu der wirklich die absolute Politik-elite eingeladen werden sollte. Das aber nicht genug, aus irgendeinem Grund kamen wir auf die Idee am gleichen Tag der Eröffnungszeremonie auch die Abschlussveranstaltung für das gesamte Projekt zu veranstalten. Quasi eine zwei in einem Veranstaltung, für die wir das GIZ Nigeria Topmanagement (Landesdirektor) und auch die EU (Head of Cooperation) nach Jos karren wollen. Planung stand lange fest, das ganze Team war involviert. Umsetzung war meiner Meinung nach grauenvoll. Nigerianisches Zeitmanagement trifft auf deutsche GIZ Bürokratie, alles ging drunter und drüber und drohte in einem absoluten Fiasko zu enden. Fünf Tage vor dem Event ließ der Landesdirektor verlauten, er habe Zweifel an der Ernsthaftigkeit der Eventvorbereitung. Weiterhin forderte er zwei Reden (waren ja zwei Events). Auch der EU Head of Cooperation wollte eine Rede geschrieben bekommen und auch meine Chefin wollte zumindest ein paar Gesprächspunkte vorbereitet bekommen. Zusätzlich sollte ich auch einen eigenen Vortrag halten. Das heißt ich musste vier verschiedene Reden schreiben, plus meinen Vortrag. Es durfte sich nichts zu doll wiederholen, sollte alles individuell sein und mein eigener Anspruch war, dass es auch fesselnd und teilweise auch lustig wird. Auch wenn es auf dem Papier eigentlich wieder ganz anders war, ich stand im Spotlight. Wenn es schief geht wird auch (oder vor allem) mir die Schuld gegeben. Ich habe noch nie so wenig geschlafen, wie in den zwei Wochen vor dem Event. Ich habe einen immensen Druck verspürt und hatte die eine oder andere Panikattacke. Glücklicherweise wurde ich auch immer wieder beruhigt, vor allem von meinem Team, aber auch von meiner Chefin Sylvie, die alle immer wieder gesagt haben “Das wird schon”. Einen Tag vor dem Event waren dann gerade mal 50% der Stände aufgebaut. Ich wollte einfach nur noch alles absagen und weg….Dann der Tag des Events. Ich habe vielleicht zwei Stunden schlafen können, aber als ich bei der Venue ankam, war ich etwas beruhigt. Alle Stände wurden über Nacht fertig gestellt. Das Event selbst sah vor, dass wir morgens die Projektabschlussveranstaltung haben und nachmittags dann die offizielle Eröffnung der Handelsmesse. Um 9Uhr sollte alles anfangen, wir hatten einen strengen Zeitplan. Um 9Uhr waren dann ganze 3 Menschen da….Aber dann wurde es besser, mehr und mehr Menschen kamen, das GIZ Topmanagement kam, mehrere Commissioner, die Leute lobten uns für die wunderbar vorbereitete Halle und um 10.30Uhr ging es dann los. Und in dem Moment als es losging war es einerseits eh zu spät sich um irgendwas Sorgen zu machen, jetzt heiß es Augen zu und durch. Und dann….wurde es gut. Das morgendliche Event lief Klasse. Alle unsere lokalen Partner waren da, insgesamt 100 Leute, darunter hochrangige Politiker. Die Rede des Eröffnungsrede des Landesdirektors war eine der besten, die jemals in Plateau gehalten wurde (ohne mich selbst zu loben 😉 aber er hat das selbst gesagt). Ich hielt die ersten 5 Minuten meines Vortrages auf Hause und hatte das Publikum so komplett auf meiner Seite. Es war tatsächlich auch einer meiner besten Vorträge, auch wenn mir (wie immer) vor gehalten wurde, ich halte das Mikrophon wie ein Rapper. Auch das restliche Programm verlief gut. Dann Mittagspause, Hektik, Umbau, Aufregung. Zwischendrin mehrere Polizisten mit Sprenkstoffdetektoren. Aber als ich das sah, wusste ich, der Governor wird kommen. Der Governor vom Bundesstaat Plateau, zusammen mit der gesamten Regierung, und ja sie kamen…Es wurden extra Sitze für den Governor und den Deputy-Governor herangeschafft, den sie können scheinbar nicht auf normalen Sitzen sitzen. Es wurden mehrere VIP-Reihen geschaffen. Neben dem Governor sollte natürlich der Head of Cooperation der EU und der Landesdirektor sitzen, doch damit nicht genug. Auch ich sollte mit in der Reihe neben dem Governor sitzen…Der  Governor kam dann auch tatsächlich, zusammen mit seinem ganzen Tross. Die Veranstaltung lief strikt nach Protokoll. Es wurden Reden gehalten (unter anderem die, die ich geschrieben habe) und dann gab es noch eine spontane Awardverleihung durch die Vereinigung durch die Vereinigung der lokalen Unternehmen in Plateau. Ausgezeichnet wurde ein gewisser Björn Bernhardt für herausragende Dienste für den Bundesstaat Plateau…Tja, an diesem Tag, von dem ich befürchtete, dass er das komplette Fiasko wird, bekam ich tatsächlich eine Auszeichnung überreicht, vor den Augen vom Governor, vor den Augen der Regierung von Plateau State, vor den Augen vom Landesdirektor, vor den Augen der EU. Ich hielt natürlich eine kurze Dankesrede auf Hausa, die den Governor zum Lachen brachte, sodass er mir noch persönlich gratulierte…Der Governor blieb dann noch drei Stunden, unterhielt sich mit jedem einzelnen Aussteller, bevor er mit dem gesamten Hofstaat wieder abrauschte. Wir waren dann abends noch mit EU und Landesdirektor ein Feierabendbier trinken und beide gratulierten uns zu diesem erfolgreichen Event. Der Landesdirektor wiederholte diese Gratulation in den folgenden Tagen noch mehrmals auf verschiedenen Wegen…Ich war einfach nur müde und stolz.

Plateau on the Move
Ich rappe eine Rede

Ich bekomme einen Award
Von rechts nach links: Icke, Sylvie (meine Chefin), der GIZ Landesdirektor, der Head of Cooperation EU, der Governor von Plateau und der Deputy Governor von Plateau

Das sind jetzt zwei (natürlich sehr ausführlich beschriebene) Erfolge des Projektes, die mein Team erreicht hat. Das EU Plateau Team besteht mit mir aus 11 Personen. Zwei Personen sitzen in Abuja, mein Assistent und ich. Die restlichen 9 Personen sind in Jos. Offiziell hatte ich die disziplinarische Führung von zwei Personen inne. Meinem Assistenten und meiner Stellvertreterin/ Pendant in Jos. Über die verbleibenden Teammitglieder hatte ich strukturelle Führung, während die disziplinarische bei verschiedenen anderen Personen lag. Aber das gesamte Team hat mich als BOSS bezeichnet, beziehungsweise als Mister Björn. Selbst die Leute, die ich noch aus den Zeiten kenne, als ich noch Praktikant bei der GIZ in Nigeria war. Rückblickend kann man schon sagen, dass ich sehr viel Verantwortung übernommen habe und mir häufiger den Kopf zerbrochen habe, als eigentlich notwendig. Für mich war es ja mein erster richtiger Job, und dann gleich mit so viel Verantwortung. Zudem bin ich der jüngste im Team und das in einem Land, wo Alter für Autorität sorgt. Natürlich habe ich mir mehr extrem viel Gedanken gemacht, wie ich ein Team führen möchte. Ich habe mir tatsächlich eine sehr ideale Vorstellung herausgearbeitet. Einerseits steht die Professionalität im Vordergrund, gerade, wenn man für eine Organisation wie die GIZ arbeite, wo alles mit Prozessen abgesichert ist. Hier hatte ich immer meine größten Schwierigkeiten und Herausforderungen mit dem Team, aber im Vergleich zu anderen Teams der GIZ in Nigeria waren wir immer sehr gut aufgestellt. Auf der anderen Seite wollte ich immer eine gewisse Lockerheit, Witz und Teamgeist beschwören. Das ist natürlich irgendwie schwierig für jemanden aus einem komplett anderem kulturellen Kontext, aber ich glaube dennoch, dass ich das irgendwie geschafft habe. In diesem Team hat es mehrfach sehr doll gekracht. Das Team bestand aus mehreren Einzelkämpfen, die alle irgendwie zusammengehalten werden mussten. Ich bin ja selber nicht wirklich bekannt, dass ich der geduldigste bin und musste mehrfach “scharfe” Ansagen machen. Im Nachhinein habe ich erfahren, dass diese zwar extrem gefürchtet waren, aber sehr geschätzt wurden und tatsächlich auch Wirkung hatten. Ich muss sagen, dass wir ziemlich viele Herausforderungen meistern mussten. Nicht alle, aber die meisten konnten wir gemeinsam bewältigen. Ich habe Einblick in andere GIZ Teams in Nigeria. Probleme gibt es überall, aber bei den meisten werden diese nicht thematisiert und somit auch nicht gelöst. Wir haben das anders gehandhabt. Wir haben Probleme angesprochen und gemeinsam versucht zu lösen. Das war nicht immer einfach. Ich bin oft verzweifelt. Dennoch gingen wir gemeinsam durch dick und dünn und ich bin unglaublich stolz auf dieses Team. Diese verantwortungsvolle Position der letzten paar Jahre hat mich extrem geprägt. Ich habe sehr viel über Verantwortung und Menschen im Allgemeinen dazu gelernt. Und ohne mich selbst zu loben, glaube ich sagen zu können, ich war nicht der schlechteste BOSS…

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Aber nun war es das. Das Projekt ist vorbei. Beim Schreiben dieser Zeilen war ich das eine oder andere Mal sehr emotional. Doch das zeigt nur wieder, wie sehr ich das Erlebte der letzen paar Jahre schätze und wie sehr ich diese Arbeit und vor allem das Team vermissen werde. Ab Juni kommen neue Herausforderungen auf mich zu, doch dazu später mehr….

 


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